Der Weg ist das Ziel.

Fachartikel, erschienen in: "feldenkraiszeit" Ausgabe 5 - Gehen, Journal für somatisches Lernen 2004

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Einfach Wandern

Ich möchte Sie mitnehmen auf eine kleine Wanderung zu etwas Selbstverständlichem, das bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so selbstverständlich ist: die menschliche Funktion des aufrechten Gangs. In meinen Wanderkursen entdecken die TeilnehmerInnen immer wieder die Vielfalt und Komplexität dieser Bewegung und was ein Mensch alles „verkehrt“ machen kann, ohne es zu merken.

Wandern durch die Jahrhunderte

Wandernd eroberte der Mensch seit Millionen von Jahren unseren Planeten. Wörter wie Völkerwanderung legen Zeugnis ab für diese Ereignisse. Noch bis vor zwei Jahrhunderten war das Gehen zu Fuß für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit, auch größere Entfernungen zu überbrücken. Personen von Rang und Namen oder solche, die es sich leisten konnten, nutzten z.B. Pferde. Seit der Erfindung des Rades wurden Karren, später Kutschen etc. als Mittel eingesetzt, um schneller und bequemer vorwärts zu kommen. Alle anderen mussten zu Fuß gehen. Im Übrigen findet das Wort Fußvolk bis in die heutige Zeit Verwendung.

Der zunehmende technische Fortschritt in unserer westlichen Welt verschaffte im Laufe des vorletzten Jahrhunderts den Zugang zu schnelleren und komfortableren Möglichkeiten der Ortsveränderung. Sie sind sinnvoll, erleichtern das Leben und werden reichlich genutzt. Diese Entwicklung brachte eine gravierende Veränderung in die Funktion der Fortbewegung zu Fuß. Vom Zwang des Gehens als Mittel der Ortsveränderung befreit, hatte der Mensch jetzt die Chance, Wandern als eine Möglichkeit, von A nach B zu kommen, zu wählen. Von dieser Freiheit machten z.B. viele Dichter wie J.W. von Goethe oder Erich Kästner, Philosophen wie Martin Heidegger und Forscher wie Max Planck Gebrauch, um wieder in Kontakt mit Natur, anderen Menschen und zu sich selber zu kommen. Ihre Erfahrungen, Beobachtungen und Entdeckungen gingen ein in ihre Werke. In der Wandervogelbewegung der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde Wandern sogar zum Inbegriff von Freiheit und Unabhängigkeit.

Diese „Freiheit der Wahl“ wird interessanterweise in der heutigen Zeit durch die Errichtung von Fußgängerzonen in Städten, autofreie Orte in den Alpen oder Einrichtungen wie Nationalparks partiell eingeschränkt. Dort müssen die Menschen wieder zu Fuß unterwegs sein, wenn sie etwas sehen oder erledigen möchten. Immer mehr Menschen möchten heutzutage an Wochenenden oder ganze Wochen wandern, ausgedehnte Trekkingtouren oder alte Pilgerstrecken, wie den Jakobsweg von Südfrankreich nach Nordspanien, zu Fuß bewältigen. Dies lässt ahnen, wie stark der Wunsch geworden ist, wieder aus eigener Kraft größere Strecken zurückzulegen.

Drei Gründe für Feldenkrais-Wanderkurse

Die Fortbewegung auf zwei Beinen unterscheidet uns von anderen Lebewesen auf der Erde und ist genetisch in uns verankert. Dieser komplexe Bewegungsablauf erscheint uns so selbstverständlich wie das Atmen. Ein Kursteilnehmer drückte es so aus: „Laufen ist nichts, was man noch lernen müsste!“ So ist es um so überraschender, wenn wir entdecken, dass wir im Grunde gar nicht so recht wissen, wie wir gehen.

Der Gang eines Menschen ist jedoch das Resultat seiner bisherigen Lernerfahrung. Menschen gehen aufrecht oder gebeugt oder krumm. Sie kommen schleichend, polternd oder zögerlich daher. Sie sind mehr nach vorne oder rückwärts geneigt. Alle gehen sie – was sie aber unterscheidet ist die Qualität dessen, wie sie es tun!

Viele SeminarteilnehmerInnen der Wanderkurse, die ich seit Jahren gebe, sind nicht zufrieden mit ihren bisherigen Wandererfahrungen. Drückende Schuhe, Schmerzen in Muskeln und Gelenken, immer hinterher zu hetzen sind nur einige Gründe, die ihnen die

Freude und den Genuss am Wandern verleiden. In den Wanderseminaren gibt es drei Schwerpunkte, an denen wir arbeiten und forschen:

1) die Art und Weise des Gehens

2) das innere Bild, das wir von uns haben, und

3) das Tempo und die Atmung.

Die Art und Weise des Gehens oder die Freiheit der Füße

Unsere Füße sind am weitesten von unserem Kopf entfernt, damit wir sie weder sehen noch riechen müssen. Und oft stecken wir sie in Folterinstrumente, Schuhe genannt, und wundern uns, wenn sie rebellieren und den Dienst verweigern. Viele Menschen haben kein Vertrauen in ihre Füße, sondern geben die Verantwortung an die Schuhe ab. Aber ein Wanderschuh kann nur so gut sein, wie der Fuß, der in ihm steckt. Was bedeutet das?

Wir sind einem Paradoxon ausgesetzt: Je stabiler und sicherer wir sein wollen, umso beweglicher und adaptionsfähiger müssen wir werden. Das gilt auch für unsere Füße. Sie sind so konstruiert, dass, optimal genutzt, unser Gewicht auf die ganze Fußsohle verteilt wird, gleich welchen Untergrund und Neigungsgrad der Boden hat.

Wann sind Sie das letzte Mal eine längere Strecke barfuß über Stock und Stein gegangen? Die meisten wahrscheinlich irgendwann als Kind. Können Sie sich vorstellen, welche Entdeckungen Sie machen, wenn Sie eine halbe Stunde mit verbundenen Augen von einem Partner durch die Pampa geführt werden? Welche Fähigkeiten und welche „Intelligenz“ in Ihren Füßen stecken? Probieren Sie es bei nächster Gelegenheit aus. Sie brauchen nichts tun, nur wach sein, spüren und staunen!

Es macht einen großen Unterschied aus, ob ich von meinem inneren Bild her mit den Füßen in den Schuhen oder ob ich mit meinen Schuhen gehe. Schuhe sind ein sinnvoller Schutz vor Verletzungen, Kälte und Hitze. Sie können aber keine bewussten und beweglichen Füße ersetzen. Starre, verkrampfte Füße führen in Wanderschuhen häufig zu Druckstellen und Blasen, die auf magische Weise verschwinden, wenn die Füße weicher und anschmiegsamer werden. Um dies zu erreichen, hilft Ihnen das Barfußlaufen. Möglich ist aber auch herauszufinden, wie Sie Ihre Füße in den Wanderschuhen eigentlich gebrauchen. Nehmen Sie sich bei nächster Gelegenheit, wenn Sie in Ihren Wanderschuhen unterwegs sind, etwas Zeit und probieren die folgende kleine Übung aus.

Um einen Unterschied in den Füßen und Schuhen wahrnehmen zu können, entscheiden Sie sich für ein Bein bzw. einen Fuß, mit dem Sie experimentieren wollen. Gehen Sie eine Weile mit diesem Fuß nur auf den Zehenspitzen, dann auf den Fersen. Beobachten Sie, welche Auswirkungen dies auf Ihren ganzen Körper hat. Es gibt kein richtig oder falsch, sondern nehmen Sie wahr, was passiert. Dann gehen Sie auf der Innenkante, anschließend auf der Außenkante. Drehen Sie Ihren Fuß auswärts wie Charlie Chaplin oder einwärts und spüren Sie, wie Ihr Fuß abrollt. Dies sind ein paar Möglichkeiten, die auch miteinander kombiniert werden können. Halten Sie einen Moment inne und spüren den Unterschied zwischen dem Schuh und Fuß, mit dem Sie experimentiert haben, und dem anderen Bein. Bei den meisten fühlt sich dieser Schuh weicher, bequemer und viel angenehmer an. Das heißt, Ihr Fuß kann es sich in diesem Schuh viel bequemer machen.

Probieren Sie nochmals ein paar der obigen Übungen mit dem gleichen Bein aus und werden sich bewusst, welche Auswirkungen die Fußstellung auf die darüber befindlichen Körperteile beim Gehen hat. Ist die Basis nicht sicher und stabil, müssen höhere Körperteile diese Fehlstellung kompensieren. Gehen Sie für eine Weile mit gekrallten Zehen. Eine Verspannung, die bei sehr vielen Menschen vorkommt. Beobachten Sie, wie sich Ihre Knie anfühlen und wie sich Ihre Beine vorwärts bewegen. Wie viel Raum und Platz spüren Sie beim Atmen? Wie fühlt sich Ihr Nacken an?

Das Krallen der Zehen ist ein Versuch des Organismus, mehr Halt und Stabilität zu erlangen. Es passiert jedoch genau das Gegenteil. Durch das Krallen der Zehen hebt sich der Mittelfuß, und die zur Verfügung stehende Standfläche verkleinert sich. Die Beugemuskulatur spannt sich an, der Atem wird flacher und der Nacken verspannt sich. Das ganze Gehempfinden wird steifer und härter. Durch die Feldenkrais-Methode wird Ihnen dieser Zustand zuerst bewusst. Über das Wahrnehmen von Unterschieden bieten sich Ihnen dann Wege an, zu einem besseren Umgang mit Ihren Füssen zu kommen.

Nachdem Sie nun einige Erfahrungen über die Bedeutung der Füße und ihrer Verbindung mit dem ganzen Körper kennen gelernt haben, wird es nun Zeit, uns einem Aspekt des Wanderns zu widmen, der bei vielen Menschen mit Anstrengung und unnötigem Kraftaufwand verbunden ist. Gemeint ist das Bergaufgehen. Nicht nur in den Bergen, sondern auch zu Hause beim Treppen steigen können Sie beobachten, wie viele sich quälen, empor zu kommen.

Wenn Sie bereit sind, sich auf ein weiteres Erfahrungsabenteuer einzulassen, können Sie die folgende Übung entweder auf einer Treppe oder unterwegs an einem steilen Weg in den Bergen ausführen.

Gehen Sie die Treppe oder den Weg nach oben und beobachten Sie, wie Sie Ihre Füße aufsetzen. Setzen Sie die ganze Fußsohle auf oder nur die Zehen und Fußballen? Führen Sie beide Möglichkeiten bewusst einige Male durch. Nehmen Sie wahr, ob ein Unterschied in Kraftaufwand, Leichtigkeit und Geschmeidigkeit spürbar ist. Vielleicht wird Ihnen zum ersten Mal bewusst, wie Sie Ihre Füße aufsetzen, und dass es einen Unterschied geben kann. Wenn Sie bei nächster Gelegenheit einmal in einem Gebäude in ein höheres Stockwerk müssen, benutzen Sie statt des Fahrstuhls das Treppenhaus. Laufen Sie nur Fußballen und Zehen aufsetzend nach oben. In den Bergen können Sie eine längere Strecke so zurücklegen. Wie fühlt sich das an?

Ob Sie es glauben oder nicht, viele Leute steigen tagaus, tagein auf diese Weise Treppen hoch oder erklimmen Gipfel, ohne zu wissen, dass Sie es so tun und ohne zu merken, wie anstrengend dies ist.

Bevor Sie in dieser Entdeckungsreise weiter gehen, gönnen Sie sich einen Moment Pause.

Achten Sie nun darauf, dass Sie Ihre ganze Fußsohle aufsetzen, während Sie die Treppe oder den Weg weiter nach oben steigen. Wie bringen Sie Ihren Körper und sein ganzes Gewicht von einer Stufe zur nächsten? Die meisten werden feststellen, dass sie ihren Körper vom Bein aus nach oben drücken. Machen Sie es einige Meter ganz bewusst und spüren Sie, wie viel Kraft Ihre Oberschenkel aufbringen müssen.

Denken Sie an eine kurze Pause! Achten Sie jetzt bitte darauf, wohin im Raum sich Ihr Kopf und damit Ihre Wirbelsäule und Ihr Rumpf bewegen, wenn Sie Treppen oder einen steilen Weg nach oben steigen. Wenn Sie aufmerksam hinspüren, werden Sie entdecken, dass der Kopf sich relativ senkrecht nach oben bewegt, wenn Sie sich von den Oberschenkeln aus abdrücken.Verändern Sie nun die Bewegungsrichtung Ihres Kopfes mehr nach vorne, wenn Sie aufsteigen und beobachten Sie, was passiert. Können Sie spüren, dass dadurch Ihr Gewicht und Schwerpunkt über das Bein kommt, das die nächste Stufe ersteigt? Ihr Rumpf pendelt dabei leicht nach vorne, dem Kopf folgend, und der Winkel zwischen Oberschenkel und Bauch verkleinert sich. Bewegt sich der Kopf mehr senkrecht nach oben, bleibt dieser Winkel nahezu unverändert. Probieren Sie es aus und nehmen Sie den Unterschied wahr.

Steigen Sie nun bitte einige Stufen rückwärts hinunter und beobachten Sie, wie und wohin sich Ihr Kopf und Rumpf bewegen. Bei diesem Rückwärtssteigen kippt Ihr Oberkörper automatisch etwas nach vorne. So können Sie Ihre Balance gut halten, das Gewicht ist über dem gebeugten Bein, während Zehen und Fußballen des Beines, das nach unten steigt, auf der unteren Stufe aufsetzen. Es folgt die Ferse bis der ganze Fuß steht und bereit ist, Ihr Gewicht zu übernehmen. Versuchen Sie einmal, Ihren Kopf und Oberkörper nicht nach vorne zu kippen, sondern ihn senkrecht zu lassen, während Sie rückwärts die Treppe oder den steilen Weg hinuntersteigen. Die Gefahr des Fallens und eine deutliche Unsicherheit sind die Folgen. Steigen Sie bitte noch einige Male rückwärts hinunter, und lassen Sie dabei Ihren Kopf und Oberkörper die Bewegung machen, bei der Sie sich sicher fühlen. Sie werden feststellen, dass ihr Rumpf und Kopf nach vorne pendeln. Machen Sie sich noch ein bisschen mit dieser Bewegung vertraut und stellen sich vor, Sie würden beim Abwärtssteigen mit einer Filmkamera aufgenommen. Am Ende der Treppe oder eines Stück Weges angekommen, lassen Sie diesen Film vor Ihrem inneren Auge rückwärts laufen. Die gefilmte Person, nämlich Sie, steigt dann die Treppe oder Weg nach oben. Wiederholen Sie diesen Vorgang bitte ein paar Mal, so dass Sie mit dieser sicherlich ungewohnten Aufgabe besser vertraut werden. Ruhen Sie sich dann einen Moment aus.

Genau so, wie Sie beim Abspulen des Films rückwärts die Treppe hochgehen, steigen Sie nun die Treppe oder Weg nach oben. Können Sie wahrnehmen, dass Ihr Rumpf und Kopf, genau wie beim Heruntersteigen, über Ihr Bein kommen, das sie nach oben bringt und Sie weniger Kraft brauchen? Wiederholen Sie diesen Vorgang einige Male, bis er Ihnen vertraut ist. Durchläuft Ihr Körper beim Aufwärts- und Abwärtssteigen die gleichen Bewegungsphasen? Das bedeutet, um beim Bild des Films zu bleiben, dass die Absteigebewegung, rückwärts gespult, deckungsgleich mit den Bewegungsphasen des Aufsteigens ist. Vergessen Sie nicht, eine kleine Pause zu machen, um Ihrem Nervensystem eine Chance zu geben, alles zu verarbeiten und zu integrieren.

Lassen Sie jetzt Ihre Aufmerksamkeit, während Sie wieder aufsteigen, zu Ihrem Becken gehen. In welcher Weise bewegt sich Ihr Becken? Halten Sie einen Moment inne und ertasten Sie bitte mit Ihren Händen Ihre Sitzknochen am unteren Ende Ihres Gesäßes, rechts und links Ihrer Gesäßfalte. Sie werden dort beidseitig einen relativ spitzen Knochen finden. Legen Sie nun eine Hand so unter Ihr Gesäß, dass Sie beide Sitzknochen spüren, und der Handballen Ihr Kreuz- oder Steißbein berührt. Während Sie jetzt mit dem rechten Bein eine Stufe aufsteigen, heben Sie mit der Hand Ihr Becken ein bisschen nach oben, während Ihr Oberkörper und Kopf etwas nach vorne gehen. Haben Sie dabei die Vorstellung, dass Ihr Becken Ihren Körper nach vorne/oben hebt, statt sich mit dem Bein abzudrücken. Wenn Sie mit dem linken Bein den nächsten Schritt machen, drücken Sie sich mit dem Oberschenkel ab. Beim rechten Bein heben Sie wieder mit der Hand unter den Sitzknochen Ihr Becken nach vorne/oben. Als Unterstützung dieser Bewegung fassen Sie mit der anderen Hand ein Büschel Haare, falls vorhanden, am höchsten Punkt Ihres Kopfes und ziehen in die gleiche Richtung nach vorne/oben, wie Ihr Becken Sie hebt. Kopf, Wirbelsäule und Becken sind ausgerichtet, d.h. sie bilden eine Linie. Steigen Sie auf diese Weise etliche Stufen hoch und nehmen den Unterschied wahr. Wenn Ihre Arme ermüden, tauschen Sie die Hände, aber vergessen Sie nicht, dass beim rechten Bein das Becken Sie hebt, während Sie sich vom linken Bein abdrücken. Welche Bewegung ist leichter?

Wenn Sie mit dieser Art des Aufstiegs vertraut sind, nehmen Sie die Hände von Kopf und Gesäß weg. Gehen Sie weiter wie bisher. Ihr Becken hebt und der Kopf zieht Sie beim rechten Schritt nach vorne/oben, während das linke Bein Sie nach oben drückt. Machen Sie eine Pause und überprüfen Sie, ob Sie einen Unterschied zwischen Ihrer rechten und linken Seite spüren. Ist eine Seite länger, leichter oder größer als die andere? – Tauschen Sie dann die Rollen Ihrer Beine.

Wir lernen und entdecken sehr viel, wenn wir Unterschiede wahrnehmen können. Diese Fähigkeiten können wir mit Hilfe der Feldenkrais-Methode ebenso weiterentwickeln wie das Vertrauen in unsere Körperwahrnehmung. Dadurch können wir unabhängiger entscheiden, was für uns sinnvoll und leicht ist.

Das innere Bild oder vollständiger wandern

Jeder Mensch hat, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, ein inneres Bild von sich. Diese Vorstellung, auch die des eigenen Körpers und seiner Bewegungen, ist des öfteren unvollständig und gelegentlich auch falsch. Ein kleines Beispiel bzw. eine kleine Übung mag dies verdeutlichen.

Legen Sie bitte Ihre beiden Hände an die Stellen, wo Sie ihre Hüftgelenke vermuten. Wenn Sie diese Übung in einer Gruppe machen, zeigt sich, dass die Hände an sehr unterschiedlichen Stellen landen. Einige haben sie am Beckenkamm, andere an der Außenseite der Oberschenkel am großen Trochanter. Ein paar legen ihre Hände an ihre Leisten. Wir gehen nun, im wahrsten Sinne des Wortes, die verschiedenen Möglichkeiten durch. Während Sie herumgehen, spüren Sie, wie Sie Ihre Schritte machen, wenn Sie sich die Hüftgelenke am Beckenkamm vorstellen? Wie fühlt es sich an, wenn sie am großen Trochanter sitzen? Was ist anders beim Gehen, wenn Sie sich die Hüftgelenke ungefähr einen Handbreit davon entfernt nach innen vorstellen? Dort wo die Hüftgelenke sich befinden! Sie werden einen Unterschied in der Qualität des Gehens spüren, je nachdem, wo Sie sich Ihre Hüftgelenke vorstellen. Für diejenigen, für die der tatsächliche Ort der Gelenke neu ist, braucht es Zeit, ein Gefühl dafür zu entwickeln und die Veränderung ihres inneren Bildes zu festigen.

Eine weitere Übung, die hilft, ein besseres Gefühl für den Platz der Hüftgelenke zu bekommen, ist die passende „Spurbreite“ beim Gehen herauszufinden. Manche Menschen gehen mit sehr enger Beinstellung, andere eher weiter auseinander wie Seeleute. Sehr oft entdecken die TeilnehmerInnen, dass beim Beinabstand, bei dem sie sich am leichtesten und beweglichsten fühlen, die Sprunggelenke (Knöchel) sich direkt unter den Hüftgelenken befinden. Sie können dies mit Wanderstöcken überprüfen, indem Sie die Stöcke senkrecht auf die Schuhe stellen und sehen, ob der obere Teil sich vor den Hüftgelenken befindet.

So entsteht allmählich ein vollständigeres Bild über unser Skelett, und man begreift, wie sinnvoll, nahezu genial, manche funktionellen Zusammenhänge sind.

Eine weitere Übung verdeutlicht sehr gut, wie unser inneres Bild Einfluss nimmt auf die Art und Weise, wie wir gehen. Ich empfehle Ihnen dazu einen längeren, möglichst ebenen Weg, auf dem Sie ungestört genügend Auslauf haben.

Zuerst stellen Sie sich hin und vergegenwärtigen sich, wie lang Ihre Beine sind. Das heißt, wie ist im Moment Ihr Bild von der Länge Ihrer Beine vom Boden nach oben? Gehen Sie etliche Schritte und spüren Sie Ihre Schrittlänge, Ihren Atem, kurz die Qualität Ihres Gehens.

Während Sie weitergehen, lassen Sie Ihre Beine in Ihrer Vorstellung auf die Länge Ihrer Unterschenkel schrumpfen. Dackelbeine wäre ein passendes Bild hierfür. Was fällt Ihnen sofort an Veränderung bei Ihrem Gang auf? Wie fühlt sich Ihr Atmen jetzt an? Hat sich am Gehtempo, an der Länge Ihrer Schritte etwas verändert? Lassen Sie Ihre Beine innerlich wieder auf die ursprüngliche Länge anwachsen und nehmen den Unterschied wahr! Sie können ein paar Mal zwischen beiden Beinlängen pendeln und so noch deutlicher die Auswirkungen erspüren.

Als nächsten Schritt lassen Sie Ihre Beine bis zum unteren Ende Ihres Brustkorbes, Höhe der Rippenbögen, anwachsen und beobachten die Auswirkungen. Wichtig bei diesem und den folgenden inneren Bildern ist es, sich die Beine nicht wie Stelzen vorzustellen, die immer länger werden, sondern die Idee zu entwickeln, Ihrem Körper zu erlauben, sich bis zu den Hüften, dann zum Brustkorb zu bewegen. Die weiteren Stationen sind Beine bis zu den Schultern und dann bis zum Übergang vom Nacken zum Kopf. Variieren Sie einige Male beim Gehen die verschiedenen Beinlängen, und lassen Sie Ihren Körper nur bis zu der jeweilig gesetzten Grenze mit bewegen. Bei welcher „Beinlänge“ ist es für Sie am leichtesten und angenehmsten? Wann ist es schwierig und anstrengend?

b.) Es wird möglicherweise beim ersten Mal noch ungewohnt sein, vielleicht auch schwerfallen, die verschiedenen Bilder innerlich in sich zu bewahren und aufmerksam Veränderungen und Unterschiede zu bemerken. Sie können jedoch immer wieder darauf zurückgreifen und jede Gelegenheit nutzen, mit dieser Idee zu experimentieren. Interessant und spaßig zugleich ist es, bei gutem Wetter in einem Straßencafe zu sitzen, das Gangbild von Menschen zu beobachten und nachzuspüren, wie lang wohl deren Beine sind.

Tempo und Atmung oder intelligent wandern

Viele Wanderer gehen bei einer Tour zu schnell los und begehen damit einen Kardinalfehler. Der Organismus gerät schon früh in eine „Sauerstoffschuld“, d.h. er verbraucht mehr als zugeführt werden kann. Als Resultat sehen wir dann schnaufende, keuchende Gestalten mit hochrotem Kopf, die sich den Berg hinauf quälen. Unsere Atmung ist ein geniales Mittel, um unser Tempo zu bestimmen. Aber wie? Eine kleine Übung mag dies verdeutlichen.

Am Besten gehen Sie zuerst einen ebenen Weg, um damit vertraut zu werden. Zählen Sie die Anzahl der Schritte, die Sie pro Atemzyklus machen, d.h. bei einmal Ein- und Ausatmen.

Beginnen Sie mit unterschiedlicher Schrittzahl pro Atemzyklus zu experimentieren und beobachten Sie, wie es sich anfühlt. Ein Extrem wäre ein Schritt pro Zyklus, das andere Extrem dieses Spannungsbogen vielleicht zwölf oder vierzehn Schritte. Finden Sie heraus, welche Schrittzahl pro Atemzyklus für Sie ganz angenehm und leicht ist. Gehen Sie bitte über eine längere Strecke bis Sie sicher sind, Ihren Rhythmus gefunden zu haben.

Wenden Sie sich jetzt bitte einem relativ steilen Weg zu oder, in Ermangelung eines solchen, können Sie es auch im Treppenhaus probieren. Wird Ihr Atem schneller, wenn Sie längere Zeit bergauf gehen? Verändert sich etwas im Verhältnis von der Anzahl der Schritte pro Atemzyklus? Wenn ja, gehen Sie zu schnell. Probieren Sie aus, mit welchem Tempo Sie bergauf gehen müssen, damit das Verhältnis von Schrittzahl pro Zyklus dasselbe bleibt wie in der Ebene. Gehen Sie bitte noch eine längere Zeit in Ihrem Tempo, das Sie gefunden haben, weiter und beobachten Sie Ihren Atem. Kommen Sie außer Puste? Wenn nicht, werden Sie vielleicht feststellen, dass Sie bequem durch Ihre Nase ein- und ausatmen können. Außer Sie haben sehr enge Nasenflügel, die verhindern, dass genug Luft durch die Nase in Ihre Lunge strömen kann.

Wird die Gehgeschwindigkeit so gewählt, dass Sie ohne Mühe die ganze Zeit der Wanderung durch Ihre Nase ein- und ausatmen können, werden Sie, ohne kaputt und außer Atem zu sein, oben ankommen. Warum? Zum einen wird die eingeatmete Luft durch die Flimmerhärchen in der Nase gereinigt und im Nasen und Rachenraum befeuchtet, was ein Austrocknen der Mund- und Rachenhöhle verhindert. Zum anderen kommen Sie nicht in die oben erwähnte Sauerstoffschuld. Ihrem Organismus wird die ganze Zeit der notwendige Sauerstoff zugeführt.

Ein kleines, zufällig entstandenes Experiment mit einem Teilnehmer eines Wanderkurses soll die Bedeutung dieser schlichten, aber höchst wirksamen Einstellung, unterstreichen.

Diesem Teilnehmer, der auf Anraten seines Arztes einen Pulsfrequenzzähler trug, um Kontrolle über seinen optimalen Pulsbereich zu bekommen, bat ich um Folgendes:

Er sollte eine Weile in dem oben beschriebenen Gehtempo wandern, dabei auf seiner Uhr seine Pulsfrequenz beobachten. Dann sollte er schneller gehen, so dass er nicht mehr durch seine Nase atmen konnte, sondern die Atmung durch seinen Mund erfolgen musste, und wieder die Pulsfrequenz ablesen. Sie können sich sicherlich schon denken, was das Resultat war. Solange er im grünen Bereich, also im langsamen Tempo und der Nasenatmung wanderte, war sein Puls für ihn im optimalen Bereich, was Sauerstoffversorgung, Kalorienverbrauch etc. anbetraf. Beim schnelleren Tempo ging der Wert weit darüber und wäre, über lange Zeit beibehalten, alles andere als Gesundheit fördernd.

Die TeilnehmerInnen haben während des Kurses keinen Muskelkater, der sonst ein hartnäckiger Begleiter vieler Wandersleut ist. Ich vermute, dies liegt an dem gelungenen Zusammenspiel von Atmung und Tempo sowie den begleitenden Feldenkrais-Übungen.So reguliert unser Atem unseren Organismus im besten Sinne, egal wie flach, steil oder sonst beschaffen der Weg ist. Wir können auf diese Weise lange Strecken gehen, ohne viele Pausen einlegen zu müssen, da wir den Körper nicht erschöpfen. Dies ist wichtig, denn der Gipfel ist erst die Hälfte einer Tour. Es steht noch der Rückweg bevor, der für viele zur Tortur wird, weil der Weg nach oben zu viel Kraft geraubt hat.

Ich hoffe, Sie sind neugierig geworden auf Überraschungen beim Wandern. Der Weg lohnt sich!